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29.04.2024

Thermoplastische Schale/Rippen-Bauteile mit durchgängiger Faserverstärkung

Fasern Garne Gestricke & Gewirke Composites Technische Textilien

Zusammenfassung

Im Bereich des Automobil- und Maschinenbaus wird kontinuierlich nach Innovationen gesucht, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Ein Bereich, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, sind Schale/Rippen-Bauteile aus endlosfaserverstärktem Thermoplast. Bisherige Herstellungsverfahren sind jedoch komplex und führen zu unzureichender Faserverstärkung in den Rippen, was deren potenzielle Einsatz in hochbelastbaren Bauteil verhindert. Der Übergangsbereich zwischen der Schale und den Rippen ist besonders anfällig für strukturelle Defizite, die eine Überdimensionierung der Bauteile erfordern, um das Versagensrisiko, einschließlich Delamination, zu minimieren. Im abgeschlossenen Forschungsprojekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung wurden daher Verstärkungstextilien entwickelt, die diese Problematik lösen, indem Fasern während der Verbundbildung in anspruchsvolle 3D-Bauteilgeometrie bedarfsgerecht fließen können. Das Ergebnis ist eine gleichmäßige Endlosfaserverstärkung der Schale sowie eine durchgängige stapelfaserbasierte Verstärkung von der Schale in die Rippe sowie der Rippe selbst. Diese Technologie ermöglicht anordnungsabhängig eine Steigerung der Steifigkeit und Festigkeit thermoplastischer Bauteile um mindestens 50 % und kann unerwünschte Delaminationen verhindern.

Bericht

Einleitung und Problemstellung

Leichtbaugerechte schalenförmige Bauteile werden aus mechanischen Gründen mit Funktionsstrukturen in Form von Rippen versehen. Die Natur zeigt Vorbildlösungen z.B. die Erdnuss, die durch Schale/Rippen-Anordnungen eine anforderungsgerechte Versteifung bei gleichzeitig extrem geringer Masse ermöglicht. In allen Bereichen des Automobil- und Maschinenbaus besteht ein hoher Bedarf an lasttragenden Bauteilen aus Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV). Die Halbschalenbauweise des Flugzeug- und Schiffbaus zeigen rippenverstärkte Strukturen nach bionischem Vorbild mit überaus lasttragenden Eigenschaften, deren Herstellung unter Verwendung arbeitsintensiver Preforming-, Komplettierungs- und Verbundbildungsprozesse unter Verwendung duroplastischer Matrix allerding kostenintensiv ist. Besonders der Einsatz von kurzfaserverstärkten Thermoplasten für mittlere und große Serien ist sehr wirtschaftlich [1 – 3], die mechanische Eigenschaften insbesondere Steifigkeit und Festigkeit sind aber stark begrenzt. Derzeit verbraucht der Bereich Fahrzeuge 7 % der gesamten Kunststoffmenge in Deutschland [4]. Zur Überwindung der werkstoffbedingten Schwachstellen werden im Schalenbereich endlosfaserbasierte Faser-Matrix-Halbzeuge wie Organobleche und UD-Tapes verarbeitet. Die damit erreichbare gerichtete Faserverstärkung in der Schale führt zu deutlich besseren mechanischen Eigenschaften, erfordert allerdings weiterhin das Anspritzen von verstärkenden Rippen [1, 2]. Weiterhin werden langfaserverstärkte Thermoplaste (LFT) industriell eingesetzt, bei denen unidirektional Faserbündel in die thermoplastische Schmelze eingebracht werden, um Schalenbereich und Rippen in Rippenrichtung zu verstärken [5]. Die Bauteilumsetzung erfordert i.d.R. kostenintensive, mehrstufige Anlagen- und Werkzeugtechnik [6]. Um die Prozesskette zu verkürzen bzw. die Komplexität der Technik zu reduzieren, werden auch glasmattenverstärkte Thermoplaste (GMT) in Direktverfahren wie das einstufige Thermoformpressen zu Schale/Rippen-Bauteile verarbeitet, was insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen wichtig ist.

Eine gerichtete Faserverstärkung zwischen Schale und Rippe sowie im Übergangsbereich ist verfahrensbedingt mit keinem der bisherigen Ansätze realisierbar, sodass die resultierenden Bauteile für lasttragende Anwendungen nur eingeschränkt geeignet sind. Bei Biegebeanspruchung können u.a. die Rippen von der Schale delaminieren oder die Rippen weisen einen geringen Faseranteil und eine ungerichtetete Faserorientierung auf und sind damit weniger steif.

Zielsetzung

Ziel war es, anforderungsgerecht ausgelegte Hybridgarne, die sowohl aus Endlosfilamenten für den Schalenbereich als auch aus Stapelfasern für den Rippenbereich bestehen, mit definierten Fließeigenschaften zu entwickeln und zu textilen Flächengebilden mit neuen Eigenschaften zu verarbeiten. Während einem einstufigen Thermopressprozess sollen die Fasern nach dem Aufschmelzen der matrixbildenden Hybridgarnkomponente gezielt in die Kavität der Rippe fließen. Die gewünschte Faserverstärkung soll somit während der Verbundbildung von selbst entstehen.

Ergebnisse

Zu Beginn des Projektes wurden zunächst die industriellen Anwendungsfelder für rippenverstärkte thermoplastische Schalenbauteile recherchiert. Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich u.a. bei der Realisierung von lasttragenden Bauteilen und Modulsystemen in der Automobilindustrie, z.B. Batteriegehäuse bzw. -wannen, Abdeckungen, Interieur- und Exterieurbauteile (z.B. Querträger), Front- und Heckbauteile (z.B. Stoßfänger). Hauptanwendungsgebiete sind alle Bauteile, die im Spritzgieß- oder Pressverfahren hergestellt werden und gegenüber dem Stand der Technik erhöhte Anforderungen an Steifigkeit, Festigkeit oder Zähigkeit bei gleichzeitiger Minimierung der Bauteilmasse erfüllen sollen. Darauf basierend wurden repräsentative Funktionsmuster und ein Demonstrator mit komplexer werdender Rippenstruktur definiert vgl. Abbildung 1.

Die Auswahl der zu verwendenden Ausgangsmaterialien, deren Anteile, Feinheit und Geometrie erfolgte nach physikalischen und verfahrenstechnischen Eigenschaften wie Schmelzverhalten und Viskosität, Transluzenz, Festigkeit und Steifigkeit. Die in Frage kommenden Kohlenstofffasern (CF) finden aufgrund ihrer hervorragenden mechanischen und chemischen Eigenschaften zunehmend Anwendung als Verstärkungsmaterialien im Bereich der FVK. Aufgrund der z.B. nicht realisierbaren energetischen Verwertung und des hohen Energiebedarfs bei der Herstellung von CF besteht derzeit ein großes Engagement für das Recycling dieser Fasern [7]. Letztendlich wurden mehrere Materialsysteme auf Basis von Glasfasern (GF) und recycelten Kohlefasern (rCF) ausgewählt, um die Fließbewegung bzw. die Fließwege anhand der optischen Eigenschaften (rCF-schwarz, GF-weiß transparent) im konsolidierten Bauteil überdurchschnittlich gut charakterisieren zu können. Als Verstärkungsfaserwerkstoff wurde für den Schalenbereich GF 50 Vol.% und für den Rippenbereich rCF 30 bis 50 Vol.% Typ I (Trockenfasern aus Spulenresten, Produktionsresten bzw. Verschnitt) eingesetzt. Als matrixbildende Hybridgarnkomponente wurde beispielhaft und aufgrund der etablierten Verwendung Polypropylen (PP) eingesetzt.

Unter Nutzung vorhandener Friktionsspinn- und Umwindespinntechnologien wurden im Folgenden fließfähige stapelfaserbasierte Hybridgarne aus rCF mit dem Ziel einer weitgehend parallelen Kernfaserstruktur entwickelt, umgesetzt und charakterisiert sowie Vorzugslösungen für weiterführende Arbeiten bereitgestellt. Die Hybridgarne wurden anschließend in UD-Wickelstrukturen vgl. Abbildung 2 (li.) überführt und unter zielführenden Prozessbedingungen experimentell zu ersten Schale/Rippen-Funktionsmustern mit unterschiedlichen Rippenhöhen H verarbeitet bzw. konsolidiert. Hierzu und zur Untersuchung der Fließeigenschaften der Hybridgarne war es im Vorfeld notwendig, ein modular aufgebautes Werkzeug für die Verbundbildung im Thermopressverfahren zu realisieren und alle dafür notwendigen Prozesseinstellungen zu ermitteln.

Die Hybridgarne füllen während des Pressvorgangs bei vergleichsweise geringem Druck von ca. 2 MPa die gesamte Werkzeugkavität der Rippe vollständig bis zu einem Faservolumengehalt rCF/PP von derzeit 70/30 Vol.%. Die Abbildung 2 (re.) zeigt ein Ergebnis anhand Funktionsmuster FM1, bei dem die Rippe durch die anvisierten Fließeigenschaften während des Pressvorgangs mit Fasern gefüllt wurden. Die Fasern liegen überwiegend entlang der Rippe. Bestandteil der Arbeiten war auch die Untersuchung des Fließverhaltens der rCF u.a. mittels bildanalytischer Charakterisierung von Schnitt- und Schliffproben [8].

Generell ist die Belastbarkeit von UD-Faserlagen richtungsabhängig begrenzt, so dass biaxiale Faseranordnungen unter Verwendung der Mehrlagen-Flachstricktechnologie in den Fokus gerückt sind. Gestricke, bei denen Verstärkungsfäden in die Maschen integriert sind, werden als Mehrlagengestricke (MLG) bezeichnet. MLG können monoaxial, biaxial oder multiaxial angeordnete Verstärkungsfäden aufweisen. Zur Steuerung der Fließbewegung wurden partielle Variationen von – in der Matrix nicht thermisch auflösbaren (GF/PP) sowie thermisch auflösbaren (PP) Maschenfadenmaterialien untersucht. Systematisch wurden dazu Bindungen von endlosfilament- und stapelfaserbasierten Hybridgarnen in der 2D-Textilstruktur zur Einstellung einer orientierten, verzugsfreien Verstärkungsfaseranordnung entwickelt. Basierend auf dem Funktionsmuster FM1 und den Voruntersuchungen wurden Varianten abgeleitet, die sich u.a. hinsichtlich der Hybridgarnanordnung, deren lokaler Menge und hinsichtlich des lokal eingesetzten Maschenfadenmaterials unterscheiden. Die Varianten wurden mittels modularer Werkzeugeinsätze zu Schale/Rippe-Funktionsmustern mit unterschiedlichen Rippenhöhen H verarbeitet. Eine Stapelung von bis zu 10 gleichzeitig zu verarbeitenden biaxialen MLG vgl. Abbildung 3 (li.) wurde detailliert untersucht. Abbildung 3 (re.) zeigt ein Ergebnis der Entwicklungen.

Während des Verarbeitungsprozesses im Thermopressverfahren wird die ursprünglich leere Rippengeometrie mit einem hohen rCF-Faseranteil von bis zu 70 % gefüllt und damit die beabsichtigte Faserverstärkung von der Schale in die Rippe sowie in der Rippe realisiert. Die Länge der Stapelfasern im Hybridgarn beträgt derzeit bis zu 80 mm.

Nach der Verbundbildung erfolgten umfassende Versuchsreihen zur Ermittlung der Festigkeits- und Steifigkeitskennwerte mittels 3-Punkt-Biegeversuch. Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass die Endlosfaserverstärkung in der Schale die ermittelten Werte und Verläufe deutlich dominiert und somit das Verhältnis von Schalendicke zu Rippenhöhe minimiert werden kann, so dass die versteifende Wirkung der Rippe deutlicher hervortritt. Dadurch erhöht sich der Leichtbaugrad, da die i.d.R. großflächigen Schalenbereiche dünner dimensioniert werden können und somit eine annähernd gleiche mechanische Leistungsfähigkeit bei geringerer Bauteilmasse erreicht werden kann.

Die ermittelten Materialkennwerte wurden kontinuierlich zur Verbesserung und Validierung eines im Rahmen der Projektdurchführung entwickelten Simulationsmodells herangezogen, um zukünftig das Verbundmaterialverhalten durch die Kombination von Endlosfilamenten und Stapelfasern im Übergangsbereich zwischen Schale und Rippe realitätsnah vorhersagen zu können. Zur Verifizierung wurden Referenzbauteile hergestellt und mit den entwickelten Varianten verglichen. Die Ergebnisse zeigen eine 4-fach höhere Festigkeit und eine 2-fach höhere Steifigkeit gegenüber der Referenz. Damit konnte der Nachweis der Tragfähigkeitssteigerung von min. 50% erbracht werden. Delamination trat nicht auf.

Das hohe Potenzial der partiell fließfähiger 2D-Textilhalbzeugen wurde abschließend durch die praxisnahe Herstellung eines generischen Demonstrators (vgl. Abbildung 4) unter Anwendung der Vorzugslösungen für Hybridgarne und 2D-Textilstrukturen aufgezeigt.

Die Prozesskette, beginnend mit der Definition der Bauteilanforderungen, simulationsgestützten Dimensionierung, anforderungsgerechten Hybridgarnherstellung, Entwicklung der partiell fließfähigen 2D-Textilstrukturen mit biaxialer Verstärkungsfaseranordnung, Umsetzung der textilen Strukturen und abschließenden Verbundbildung durch das Thermo-Fließpressverfahren wurde mit Projektabschluss validiert. Der damit realisierte Demonstrator wurde anhand von Biegeversuchen geprüft und weist im Ergebnis die vordimensionierte, hohe Biegesteifigkeit auf. Aktuell erfolgen Gespräche zum industriellen Einsatz des neuen Verfahrens.

Zusammenfassung

Im Ergebnis konnten unter Verwendung der entwickelten partiell fließfähigen 2D-Textilstrukturen exemplarisch thermoplastische Schale/Rippen-Bauteile mit hohem Faservolumenanteil im Übergangsbereich zwischen Schale und Rippe und mit einer Festigkeits- und Steifigkeitssteigerung von mindestens 50 % gegenüber dem Stand der Technik hergestellt werden. Während der Verarbeitung fließen die Stapelfasern gezielt aus einer textilen Flächenstruktur in nahezu beliebige dreidimensionale Rippengeometrien. Die endlosfaserbasierte Verstärkung im Rippenbereich bleibt weitgehend unverzerrt und wie gewünscht in gestreckter Anordnung. Die resultierenden Bauteile können kostengünstig in einem einzigen Verbundbildungsschritt hergestellt werden, was zu einer erheblichen Effizienzsteigerung und potenziell zur Erhöhung der einsetzbaren Kunststoff- und Fasermenge u.a. im Bereich Fahrzeuge führen kann.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21372 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Weiterhin danken wir den Firmen des projektbegleitenden Ausschusses für die fachliche Unterstützung sowie allen weiteren Partnern, die in der Forschungsarbeit zu diesem Themenkreis unterstützten. Der Schlussbericht ist über den Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V., Berlin beziehbar. Weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) erhältlich.

AutorInnen: Sven Hellman

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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17.03.2023

Bionische 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen

Gestricke & Gewirke Composites Textilmaschinenbau Technische Textilien

Zusammenfassung

Im abgeschlossenen IGF-Projekt 20793 BR erfolgte am ITM die simulationsgestützte Entwicklung, Umsetzung und Erprobung eines innovativen Verfahrens zur integralen Herstellung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Textilstrukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen. Inspiriert von der Amazonas-Riesenseerose, deren gigantische Blätter extrem tragfähig sind, weisen diese bionischen Preformen komplex angeordnete, sich kreuzende Versteifungselemente in 0°-, 90°- sowie in ± 45°-Ausrichtung und insbesondere eine durch alle Preformteile durchgehende Faserverstärkung auf. Das ermöglicht perspektivisch einen Durchbruch topologie‑ und strukturoptimierter, endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Verbundbauteile in Serienanwendungen.

Bericht

Einleitung und Problemstellung

Faserverstärkte Kunststoffverbunde (FKV) weisen ein sehr hohes Potenzial zur maßgeblichen Reduktion bewegter Bauteilmassen und somit zur Steigerung der Energieeffizienz auf. Für einen Durchbruch von FKV in Serienanwendungen fehlen allerdings flexible Verfahren, die eine schnelle Umsetzung kostengünstiger, endkontur- und kraftflussgerechter 3D-Preformen bei hoher Materialeffizienz und Vermeidung von Nachbearbeitungsschritten erlauben.

Zur Erhöhung der Biege-, Beul- und Torsionssteifigkeit hochbelasteter schalenförmiger FKV-Bauteile kommen heute in vielfältigen Anwendungsfeldern Versteifungselemente wie Rippen, Spanten oder Stringer zum Einsatz. Die Bauteile werden jedoch bisher meist in Differenzialbauweise auf Preform- bzw. Bauteilebene durch nachträgliches Fügen von Schalen- und Versteifungsstruktur hergestellt. Dadurch ist die Fertigung derartiger FKV-Bauteile aktuell sehr kostenintensiv. Zusätzlich fehlt dabei prozessbedingt eine durchgehende Faserverstärkung zwischen Schale und Rippe. Das Leichtbaupotenzial von Hochleistungsfasern wird so nur teilweise ausgenutzt. Additive Verfahren, wie das 3D-Drucken [1] oder das Spritzgießen [2], erlauben zwar die integrale Fertigung von 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplexer Versteifungsstruktur, verfahrensbedingt ist jedoch die Möglichkeit der Einbringung einer Endlosfaserverstärkung in der Rippenstruktur stark begrenzt.

Im Rahmen des IGF-Projektes 18806 BR wurden am ITM grundlegende Basislösungen zur integralen Fertigung von 3D-Schale-Rippen-Mehrlagengestricken mit durchgängiger Endlosfaserverstärkung zwischen Schale und Rippenstruktur erfolgreich entwickelt und umgesetzt [3]. Allerdings konzentrierten sich die Arbeiten auf die Schaffung der technologischen Grundlagen für eine flexible Herstellung endkonturgerechter 3D-Schale-Rippen-Preformen mit ausschließlich in 90° angeordneten Rippen.

Natürliche Vorbilder zeigen jedoch, dass für eine optimale Aufnahme der auf das Bauteil wirkenden Belastungen eine komplexere Orientierung der Rippen notwendig ist. Dieses Prinzip findet sich z. B. in der komplex verrippten Struktur der Erdnussschale sowie in den gigantischen und extrem tragfähigen Blättern der Amazonas-Riesenseerose (vgl. Abbildung 1) wieder, die längliche, diagonale bzw. sich kreuzende Rippen sowie ein sehr geringes Eigengewicht aufweisen.

Für eine wirtschaftliche Nutzung dieses bionischen Prinzips in FKV-Anwendungen fehlen jedoch aktuell flexible und serientaugliche Fertigungsverfahren, die eine kosteneffiziente Umsetzung topologieoptimierter Schale-Rippen-Preformen mit derartig komplex angeordneten Versteifungselementen in Integralbauweise ermöglichen [4]. Die besondere Herausforderung für derartige Verfahren ergibt sich aus der notwendigen hohen Flexibilität zur Einstellung der je nach Anwendungs- und Lastfall extrem variierenden geometrischen sowie strukturmechanischen Anforderungen und damit der Strukturparameter, wie Rippendicke, -höhe und -ausrichtung.

Zielsetzung

Das Ziel des IGF-Forschungsprojektes 20793 BR war die simulationsgestützte Entwicklung, Umsetzung und Erprobung eines innovativen Verfahrens auf Basis der hochflexiblen Mehrlagenflachstricktechnik zur vollautomatisierten, integralen Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen sowie kontinuierlicher, durchgängiger Faserverstärkung zwischen Schale und Rippenstruktur.

Ergebnisse

Simulationsgestützte Preform‑ und Technologieentwicklung

Die besondere Herausforderung im Projekt war die Entwicklung geeigneter Bindungstechniken und neuartiger Maschinenelemente zur integralen und verzugsfreien Fertigung lastgerecht ausgelegter 3D-Preformen mit komplex angeordneten Versteifungselementen in 0°-, 90°- und ± 45°-Ausrichtung sowie von Simulationstools für eine optimale, CAD-gestützte Auslegung daraus herstellbarer FKV-Bauteile. Nach Festlegung der Anforderungen an relevante Schale-Rippen-FKV-Bauteile und die Präzisierung typischer Lastfälle (hauptsächlich Biege-, Druck- und Torsionsbelastungen) erfolgte zunächst eine FEM-basierte Struktursimulation (Finite Elemente Methode) mit einem makroskopischen Modell. Dabei wurden die Parameter Rippendicke, -höhe sowie Wandstärke der Schale systematisch variiert, mit dem Ziel, die Zusammenhänge und die Wechselwirkungen zwischen den geometrischen Parametern und die resultierenden mechanischen Verbundeigenschaften zu ermitteln und somit die bestmöglichen Kennwerte für die Auslegung von 3D-Schale-Rippen-Textilhalbzeugen mit komplex angeordneten Versteifungselementen festlegen zu können.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Rippenhöhe eine nur geringe Auswirkung auf die resultierende Biegefestigkeit der daraus hergestellten Verbunde aufweist. Die Rippendicke und die Wandstärke der Schale weisen hingegen einen sehr hohen Einfluss auf. Als Hauptfaktor für ein frühzeitiges Bauteilversagen wurde sowohl bei dem entwickelten FEM-Modell als auch bei der durchgeführten mechanischen Charakterisierung von 3D-Verbundproben ein durch interlaminare Scherspannung ausgelöster Bruch, sog. Delamination, zwischen unterschiedlichen Verstärkungslagen identifiziert (vgl. Abbildung 2). Zur besseren Vorhersage der mechanischen Eigenschaften von FKV wurde daher ein mesoskopisches FEM-Modell entwickelt und eingesetzt [5], das in der Lage ist, 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit einem komplexen Lagenaufbau sehr detailliert abzubilden. Anhand dieses Modelles konnte festgestellt werden, dass die Orientierung der Verstärkungsfäden im Bereich der Rippe eine untergeordnete Rolle spielt. Ausschlaggebend für die Gewährleistung guter strukturmechanischen Verbundeigenschaften ist die Sicherstellung einer durchgängigen Faserverstärkung zwischen unmittelbar benachbarten Strukturbereichen, insbesondere an den Verbindungsstellen zwischen Rippen mit unterschiedlicher Orientierung (z. B. 0°/90°), sowie der Fixierung mehrerer Verstärkungslagen mit einem einzigen Maschenfaden. Somit weist eine 2D-Verbundprobe aus vier integral gefertigten, miteinander verbundenen Verstärkungslagen mit 17,8 GPa ein um 12 % höheres Biegemodul im Vergleich zu einer aus vier Einzellagen zusammengesetzten Verbundprobe auf, die 15,9 GPa erreicht.

Integral gefertigte 3D-Schale-Rippen-Strukturen

Basierend auf der durchgeführten Struktursimulation wurden der dabei ermittelte ideale Verlauf der Verstärkungsfäden iterativ mit den stricktechnisch realisierbaren Verstärkungsfadenanordnungen unter Berücksichtigung der technologischen Umsetzbarkeit verglichen und anschließend aussichtsreiche Bindungsvarianten mit lastgerecht angeordneten Verstärkungsfäden abgeleitet und festgelegt. Darauf aufbauend wurden insbesondere für die direkte Ausbildung diagonal angeordneter Rippen notwendige technologische Anpassungen an der vorhandenen Maschinentechnik abgeleitet, konstruktiv entwickelt und umgesetzt. Nach Implementierung einer neuartigen, modular in konventionelle Flachstrickmaschinen nachrüstbaren Vorrichtung für das Aufspreizen der Kettfadenschar wurden 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit in 0°, 90° und ± 45° angeordneten Rippen auf einer modifizierten Flachstrickmaschine ARIES.3D technology der Firma Steiger (Steiger Participations SA, Vionnaz/Schweiz) stricktechnisch umgesetzt (vgl. Abbildung 3).

Mit der Umsetzung der Strukturen wurde gezeigt, dass die entwickelten Bindungsvarianten als Programmiermodule bereitgestellt werden können und mit geringem Programmieraufwand in kommerzielle Softwarelösungen zur Erstellung der Maschinensteuerprogramme übertragbar sind. Diese Module können miteinander kombiniert werden und ermöglichen somit eine beträchtliche Struktur- bzw. Produktvielfalt. Im Ergebnis des abgeschlossenen Forschungsprojektes steht fortan ein robustes und erprobtes Verfahren zur integralen Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen auf Flachstrickmaschinen zur Verfügung.

Bauteilherstellung und Charakterisierung

Aus den integral gefertigten Preformen wurden FKV-Bauteile im SCRIMP-Verfahren (Seaman Composite Resin Infusion Molding Process) hergestellt. Dafür wurde ein Formwerkzeug mit modular einsetzbaren Metallkernen entwickelt, das die flexible Herstellung von 3D-Schale-Rippen-Bauteilen mit unterschiedlichen Rippenausrichtungen ermöglicht (vgl. Abbildung 4). Zu Vergleichszwecken erfolgte auch die Realisierung eines in Differenzialbauweise gefertigten FKV-Bauteils. Dabei wurden Schalen und Rippenstruktur separat hergestellt und anschließen miteinander gefügt. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass für die Bauteilherstellung in Integralbauweise im Vergleich zur Differenzialbauweise deutlich weniger Arbeitsschritte erforderlich sind.

Zur Validierung der entwickelten FEM-Modelle erfolgte schließlich eine umfangreiche Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften von 2D-Verbundproben mittels Zug-, Druck-, CAI- (Compression-After-Impact), 4‑Punkt-Biege-, ILSS‑ (Interlaminare Scherfestigkeit) sowie Charpy-Schlagversuchen. Ergänzend dazu wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 14125 auch 3-Punkt-Biegeversuche an 3D-FKV-Bauteilen durchgeführt (vgl. Abbildung 5), um die Biegefestigkeit der neuartigen 3D-Schale-Rippen-Bauteile mit komplex angeordneten Rippen zu ermitteln.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die neuartigen 3D-Schale-Rippen-Preformen mit komplex angeordneten Versteifungselementen für die flexible Herstellung hochbeanspruchbarer FKV-Bauteile mit komplexer Versteifungsstruktur und vor allem mit einer durchgängigen Faserverstärkung zwischen Schale und Rippen sehr gut geeignet sind. Die dabei erreichbare Endlosfaserverstärkung in den Rippen stellt eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Stand der Technik dar. Insbesondere ermöglicht der Einsatz der neuartigen 3D-Textilhalbzeuge eine deutliche Vereinfachung des Preforming-Prozesses. Im Vergleich dazu erfordert eine Premformherstellung in Differenzialbauweise eine hohe Anzahl an 2D-Textilstrukturen, welche in aufwendigen Prozessschritten zugeschnitten, vorgeformt, gestapelt, kompaktiert und fixiert werden müssen. Bei Anwendung der Projektergebnisse ist dazu nur noch eine Positionierung der integral gefertigten 3D-Preform im Werkzeug erforderlich. Außerdem weisen die realisierten 3D-Preformen aufgrund der Fixierung einer hohen Anzahl an Verstärkungsfadenlagen durch nur einen einzigen Maschenfaden eine hervorragende Stabilität auf, was perspektivisch eine vollautomatisierte Preformherstellung mittels Robotertechnik ermöglicht. Somit sind die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche, automatisierbare Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-FKV-Bauteile mit komplex angeordneten Versteifungselementen in reproduzierbare Qualität geschaffen.

Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen des IGF-Projektes 20793 BR wurde ein innovatives Fertigungsverfahren auf Basis der Mehrlagenflachstricktechnik zur integralen Herstellung lastgerecht ausgelegter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen entwickelt, umgesetzt und erfolgreich erprobt. Wesentliche Vorteile der Integralbauweise gegenüber der Differenzialbauweise sind ein deutlich schnellerer Preformaufbau sowie eine deutlich höhere mechanische Belastbarkeit daraus herstellbarer FKV-Bauteile durch die durchgehende Faserverstärkung zwischen benachbarten Strukturbereichen, z. B. zwischen Schale und Rippe. Derartige Bauteile sind dadurch wesentlich materialeffizienter auslegbar. Künftig ermöglicht das entwickelte Verfahren einen Durchbruch topologie‑ und strukturoptimierter endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-FKV-Bauteile in Serienanwendungen.

Potenzielle industrielle Anwendungen sind u. a. für hochbelastbare rippenverstärkte Schalen im Schienenfahrzeug‑, Automobil- und Apparatebau (z. B. Türen oder Maschinenabdeckungen), Rumpfstrukturen im Schiffbau oder lasttragende Strukturen der Luft- und Raumfahrt (z. B. Flugzeugrumpf oder Isogrid-Strukturen).

Weiteres Forschungspotenzial besteht u. a. in der Weiterentwicklung der Technologie zur integralen Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit diagonal angeordneten Versteifungselementen abweichend von der ± 45°-Anordnung bzw. mit gekrümmten Rippen [6].

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 20793 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel sowie den involvierten Unternehmen im projektbegleitenden Ausschuss für die fachliche Unterstützung und die Bereitstellung von Versuchsmaterial. Der Forschungsbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

AutorInnen: Quentin Bollengier, David Rabe, Minh Quang Pham, Eric Häntzsche, Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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